Alpinismus: Wie dem Schweizer Roger Schäli die Erstbesteigung des Meru gelang. (2025)

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Zur Person Roger Schäli
Alpinismus: Wie dem Schweizer Roger Schäli die Erstbesteigung des Meru gelang. (1)

Interview

Daniel Hug

Dem Schweizer Profi-Alpinist Roger Schäli ist mit zwei Kollegen die schwierige Erstbegehung an einem Sechstausender gelungen. Er sagt, was ihn von den Bergsteigern unterscheidet, die mit Sauerstoff und Fixseil unterwegs sind – und warum er sich manchmal über sie wundert.

Stephanie Geiger

7 min

Sie haben kürzlich eine Route in der Südwand des Meru-Südgipfels erstbegangen. Das ist ein Sechstausender im Garhwal-Himal in Indien. Die Kennzahlen lauten 800m, M6+, A1. Was bedeutet das?

Roger Schäli: Die Route führt über 800 Höhenmeter. M bedeutet «Mixed», also kombiniertes Gelände aus Fels und Eis, das heisst, dass wir mit Eisgeräten geklettert sind. Die Zahl zeigt die Schwierigkeit an. M6+ ist richtig schwer; 80 Grad steil, senkrechter Granit mit schwieriger Absicherung. So anspruchsvolle Routen in dieser Höhe gibt es nur selten – eine Nacht verbrachten wir in 6500 Metern Höhe. A1 sagt, dass wir in einigen Passagen auch technisch unterwegs waren, also konkret Trittschlingen nutzten. Da ging die Sicherheit vor. Das Dümmste wäre, sich dort oben den Fuss zu brechen.

Das war aber nur der eine Teil.

Vor der Kletterei stand ein langer Zustieg, vergleichbar mit dem Aufstieg auf den Gipfel des Montblanc, aber viel komplizierter, mit vielen Gletscherspalten, die viel grösser waren als noch vor vier Jahren. Da mussten wir diesmal runter und wieder rauf steigen, weil das Eis in den wenigen Jahren so drastisch zurückgegangen ist. Zwei Tage haben wir in diesem 30 bis 60 Grad steilen Gelände gebraucht bis zum Bergschrund. Erst dann konnten wir in die Route einsteigen.

Zur Person

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Roger Schäli

Der 44-Jährige gehört zu den stärksten Alpinisten der Schweiz. Im Mai gelang dem Bergführer gemeinsam mit Mathieu «Meme» Maynadier und Simon Gietl eine schwierige Erstbegehung am 6600 Meter hohen Meru Peak in Indien. Schäli stammt aus Sörenberg im Entlebuch, lebt im Engadin und ist seit 14 Jahren Profi-Alpinist.

Für so eine Unternehmung die richtigen Partner zu finden, ist vermutlich nicht einfach. Sind das Freunde, oder schliesst man sich zu einer Zweckgemeinschaft zusammen, weil es eben nicht so viele Top-Kletterer gibt?

Mit Simon Gietl und Meme Maynadier verbindet mich eine Freundschaft. Mir ist wichtig, dass ich bei Expeditionen wie der an den Meru eine gute Zeit mit den anderen habe. Wenn die Leute nicht passen, würde ich bei einer noch so supercoolen Chance nicht zusagen. Da habe ich in jungen Jahren meine Erfahrungen gemacht.

Man geht in einem fernen Land klettern, das klingt doch ganz reizvoll. Was kann bei einer Expedition ein Problem sein?

Es wird echt anstrengend, wenn die Zeit davonläuft, weil das Wetter schlecht ist, wie zuletzt auch am Meru. Man sitzt im Basislager herum und hat nichts zu tun. Eigentlich ist man ja dorthin gefahren, um zu klettern. Da kann es schon zu Dynamiken kommen, die nicht so gut sind. Mit Simon und Meme war noch dazu die Sprache ein Problem. Meme spricht Französisch und Englisch, Simon Deutsch. Ich sass dazwischen, habe übersetzt und habe es abbekommen, wenn sich die beiden nicht einig waren. Das war für mich phasenweise ein bisschen anstrengend. Weil wir unser Ziel aber erreicht haben, sind wir noch besser befreundet von dem Berg weggegangen.

Ich schätze immer mehr die Ruhe an den Bergen. Wenige Leute, keine Helikopter, das wirkt auf mich, da bin ich dem Himmel ein bisschen näher.

Nach lustigem Männerausflug klingt das nicht. Die Gefahren am Berg, die Dynamiken im Basislager, und trotzdem waren Sie schon zum zweiten Mal am Meru Peak. Was macht für Sie den Reiz aus?

Die Abgeschiedenheit. Ich schätze immer mehr die Ruhe an den Bergen. Wenige Leute, keine Helikopter, das wirkt auf mich, da bin ich dem Himmel ein bisschen näher. Für mich ist die Gegend am Meru ein Kraftort. Auch die Sadhus, die hinduistischen heiligen Männer, pilgern ja dorthin. In den Alpen ist die eindrückliche Kraft der Berge geschwächt durch Bahnen, gute Strassen und die Möglichkeit, immer online zu sein. Bei uns in der Schweiz holt dich die Rega, wenn was passiert. Am Meru gibt es so etwas nicht. Da geht nur die Kollegenrettung. Das Erlebnis ist viel intensiver, weil man weiss, dass nichts passieren darf. Und dann natürlich noch dieser Berg mit dieser coolen Linie. Es ist ein Privileg, an einem Berg wie dem Meru zu klettern, an dem eine ganze Wand ungeklettert ist.

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Das ist das, was Reinhold Messner unter dem wahren Alpinismus versteht. Dorthin zu gehen, wo man sterben kann, um eben nicht zu sterben.

Richtig. Du gehst an einen wilden Platz, wo es gefährlich ist, lebensfeindlich! Die Kunst dabei ist es, auf dich allein gestellt und nicht wissend, was dich genau erwartet, mit den richtigen Entscheidungen und Fertigkeiten auf den Gipfel zu kommen – und gesund wieder ins Tal. Das ist ein Commitment, das man da eingeht. Und es ist ein exklusives Geschenk, das man sich selber erarbeiten muss. Über 4000 Meter lässt sich nichts mehr erzwingen. 2019 war ich schon einmal dort, da hat es nicht geklappt. In diesem Jahr sah es erst auch nicht so gut aus. Man braucht Glück beim Wetter und bei den Verhältnissen.

Das Wetter ist, wie es ist. Daran können Sie nichts ändern.

Aber wichtig ist, zu wissen, wie das Wetter wird. Die Wetterprognose ist existenziell. Sie macht echt viel aus. Sie macht es leichter und sicherer. Dabei darf man aber nicht vergessen: Es ist nur eine Prognose. Auf Expedition muss man lernen, das Wetter zu beobachten und Veränderungen zu deuten. Ich war vor ein paar Tagen im Bergell. Die Prognose lautete: Gewitter am nächsten Nachmittag. Die Gewitter waren aber schon in der Nacht und am Vormittag da. Das hat zu hundert Prozent nicht gepasst.

Sie haben über viele Jahre Wissen aufgebaut und Erfahrung gesammelt, um die Gefahren im Gebirge einschätzen zu können.

Ich habe tatsächlich viele Unfälle gesehen. Das hat mich sehr geprägt. Und was in diesen Wochen wieder am K2 in Pakistan passieren wird, finde ich schon krass. Ich war da noch nie, kenne ihn nur von Fotos, aber der Serac am sogenannten Bottleneck unterhalb des Gipfels schaut richtig gefährlich aus. Die Leute werden aber einfach wieder unten durchgehen. Ich weiss natürlich aus eigener Erfahrung, dass die Risikobereitschaft auf Expeditionen grösser ist. Ich staune aber schon, wie risikobereit manche Leute an Achttausendern werden, obwohl sie zu Hause eine Familie haben und sonst recht risikobewusst sind. Wenn im Berner Oberland das Wetter schlecht ist, fährst du in die Dolomiten. Auf Expeditionen wird das Risiko einfach akzeptiert. Die meisten haben nicht die Courage, abzubrechen. Der Mensch ist ein Getriebener.

Und auch ein Konsument.

Tatsächlich habe ich die Erfahrung gemacht, dass es nicht viele Leute gibt, die alpinistisch unterwegs sind und Routen anspuren.

Viele wollen mit einem Minimum an Zeit das Maximum herausholen.

Sie meinen die, die als Erste an eine Wand gehen und schauen, wie die Verhältnisse gerade sind.

Viele wollen mit einem Minimum an Zeit das Maximum herausholen. Man schaut, ob schon einer in einer bestimmten Route unterwegs war, und erst dann geht man selbst los. Deshalb gibt es auch nur wenige Leute, die im Winter an die Montblanc-Südwand gehen, wo die Zustiege lang sind, oder die im Winter in eine anspruchsvolle Route am Finsteraarhorn einsteigen. Aufwendige Erstbegehungen werden nur selten gemacht. Da sind die Erfolgschancen ja noch viel kleiner. Und von den schwierigen Routen wurden auch nur wenige wiederholt.

Sie haben es angesprochen: Es gibt heute viele, die auf ausgetretenen Pfaden unterwegs sind. Als sie am Meru Peak erfolgreich waren, starrte die breite Öffentlichkeit auf den Mount Everest, wo sich die Karawanen mit Flaschensauerstoff und an Fixseilen, geschoben und gezogen von einheimischen Bergführern, Richtung Gipfel mühten. Frustriert Sie das?

Ach, für mich ist das kein Problem. Dass viele Leute da nicht unterscheiden können oder wollen, darüber muss man nicht frustriert sein, das ist einfach so. Der Stil und die Ethik haben sich extrem verändert. Die Begehung eines Achttausenders ohne Flaschensauerstoff ist physisch eine sehr beeindruckende Leistung. Mit Flaschensauerstoff und am Fixseil schaut es schon anders aus. Irgendwie ist es aber doch schön, wenn auch Leute, die nicht schon jahrelang und oft am Berg unterwegs waren, die Möglichkeit haben, an den Everest zu gehen, weil es die Unterstützung gibt.

Also kein Ärger darüber.

Ich kann das nachvollziehen und möchte es nicht bewerten. Mir ist einfach nur wichtig, dass sie ehrlich sind und proaktiv sagen, mit wie vielen Hochträgern und mit wie viel Flaschensauerstoff sie unterwegs waren. Dasselbe gilt für eine technisch schwierige Route, wie wir sie gemacht haben. Auch da finde ich wichtig, zu sagen, ob man Fixseile, eventuell eine Bohrmaschine und wie viele Bohrhaken man verwendet hat. Das macht an den technisch schwierigen Routen auch einen riesigen Unterschied.

Haben Sie auch schon mit einem Achttausender geliebäugelt?

Schon vor mehr als zwanzig Jahren hat mir während der Bergführerausbildung ein Ausbilder geraten, auf den Mount Everest zu steigen, wenn ich bekannt werden wolle. Das Jahr hat aber nur 365 Tage, und ich bin lieber in Patagonien oder an den Kletter-Bergen im Himalaja unterwegs. Deshalb haben mich meine Wege auch nie auf einen Achttausender geführt. Klar würde mich die Erfahrung sehr reizen. Es sind halt die höchsten Berge. Und wir stellen fest, dass die Mädels und Jungs an den Achttausendern es leichter schaffen, Sponsoren zu finden. Wir dagegen hatten richtig Mühe, das Geld für unsere Expedition zusammenzubekommen. Aber nur weil in diesen Tagen wieder besonders verfolgt wird, was an den Achttausendern in Pakistan passiert, werde ich meine alpinistische Ausrichtung nicht ändern.

NZZ am Sonntag, Sport

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Author: Arline Emard IV

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